[ zurück ]

Vortrag in Dortmund: 
Strafbarer Exhibitionismus
Übernahme aus dem Waldfkk-Forum mit freundlicher Genehmigung des Referenten Dr. Peter Niehenke


Beitrag von Peter ® , Jun 05,2002,01:05          
Heute hielt ich in den Räumen des Gesundheitsamtes in Dortmund einen Vortrag zum Thema Exhibitionismus vor Mitgliedern des Gesprächskreises "Die Exhibitionisten-Selbsthilfegruppe" und Medienvertretern.

****************

Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren

Heute Abend geht es um ein unappetitliches Thema ....
Es geht um Heuchelei.

Die Geschichte der öffentlichen Diskussion von Sexualität ist eine Geschichte der Heuchelei. Es gibt in unserer Kultur praktisch keine öffentliche Diskussion über Sexualität ohne diese Heuchelei. Je öffentlicher die Diskussion, je größer die Heuchelei.

Der Umgang unserer Gesellschaft mit der Prostitution ist ein besonders eklatantes Beispiel für eine widerwärtige Doppelmoral, die zwangsläufig entsteht, wenn Heuchelei im Spiele ist: Könige hatten ihre Mätressen, zu den Kunden der Prostituierten gehörten und gehören hochrangige Personen aus Wirtschaft, Politik und Showgeschäft. Trotzdem wurde und wird die sog. "Hure" verachtet, waren bis vor kurzem (bis ein mutiger Richter an einem Berliner Gericht endlich entschied, dass Prostitution nicht "grundsätzlich sittenwidrig" sei) Prostituierte so etwas wie "der Abschaum der Gesellschaft". Und, was das Allerschlimmste ist: Selbst bzw. ausgerechnet die Männer, die diese Frauen benutzten und benutzen und dafür viel Geld ausgaben und ausgeben, haben diese Frauen verachtet. Wenn ich in Therapiestunden mit derlei Verachtung konfrontiert werde, bin ich immer wieder aufs Neue zutiefst erschüttert, obwohl ich wahrlich einiges gewohnt bin. Dass diese Männer selbst eigentlich erbärmliche Kreaturen sind, unfähig zum Nachdenken und unfähig, sich von verlogenen Konventionen in unserer Gesellschaft zu emanzipieren, das ist diesen Triebtätern dabei meist nicht einmal bewusst.

Beim Thema Sexualität setzt, wie beim Thema Religion, auch bei sonst durchaus intelligenten Menschen der Verstand meist schlicht aus: Dumpfe Instinkte und Tabus regieren diesen Bereich, Sexualität erscheint als ein geradezu gefährlicher Dämon und sobald jemand wagt, an diesen völlig irrationalen und verlogenen Konventionen im Umgang mit der Sexualität zu rütteln, droht mal wieder "der Untergang des Abendlandes".

Lassen Sie sich nur ja nicht davon täuschen, dass Sexualität in den Medien allgegenwärtig ist und schließen Sie aus dieser Tatsache nicht, dass die Menschen in diesem Lande sich von der Dämonisierung der Sexualität emanzipiert hätten:

"Sex sells!"

Ja, mit Sex (Angeboten) kann man sehr viel Geld verdienen. Das weiß jeder Geschäftsmann. "Mit Erotik kann man Geld verdienen", sagt z. B. Thomas Holtrop, TOnline Vorstandsvorsitzender, sympathisch offen. "Das ist ein luktratives Angebot, welches wir für uns sehr genau analysieren." (com!online, Ausgabe 11/2001) Und für Geld sind und waren die Menschen schon immer bereit, das, was sie für Anstand halten, über Bord zu werfen. Das war schon immer so. In keinem HollywoodFilm dürfen NacktSzenen (wie man sie nennt) fehlen, denn die Menschen wollen, ganz eindeutig, nackte Haut sehen! Jahrzehnte lang bevormundet nun schon eine an den prüden Vorstellungen einer verklemmten (religiös motivierten) Minderheit orientierte "Bundesprüfstelle" die Bürger dieses Landes, versucht ihnen vorzuschreiben, was sie sehen dürfen und was nicht! Fragt man die Politiker, die solchermaßen Unverschämtheiten beschließen, nach ihrer privaten Meinung, dann kommt meist heraus, dass sie selbst diese Dinge wesentlich lockerer sehen, aber, eben, "die öffentliche Meinung". Alle scheinen, den Einschaltquoten und den objektiven Zahlen zum Trotz, der Meinung, es sei derzeit eben nicht durchsetzbar, dem Volke das zu geben, was das Volk ganz offensichtlich will, wie Thomas Holtrop treffend festgestellt hat und jeder Werbepsychologe weiß. Man möchte der Minderheit von Moralisten in diesem Lande, denen es immer wieder gelingt, unseligen Einfluss auf die Politik zu nehmen, zurufen: "Wir sind das Volk!"

Selbst die "BILDZeitung der Intellektuellen", wie DER SPIEGEL früher genannt wurde, hat offensichtlich Redakteure, die sich von verlogenen Konventionen im Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität noch immer nicht emanzipiert haben: Das moralinsauere Gelaber über den Exhibitionismus der Leute in den Containern bei "Big Brother" war entweder Anbiederung an vermeindliche öffentliche Moral oder, nicht weniger erbärmlich, tatsächlich fehlende Emanzipation von eigenen frühkindlichen Konditionierungen. Denn selbst wenn es Exhibitionismus war, was die Leute in den Containern machten und Millionen von (meist jugendlichen) Voyeuren gierig verschlangen: Wer hat das Recht von diesen SPIEGELMoralisten, ein solches Bedürfnis zu diskreditieren, und auf der Basis welcher Grundwerte, bitte?

Heuchelei ist natürlich in besonderem Masse dann anzutreffen, wenn es um Formen der Sexualität geht, die von der Norm in unserer Gesellschaft abweichen. Die früheren Diskussionen um das Thema Homosexualität machen es offenbar: Niemand wollte sich dem Verdacht aussetzen, evtl. gar "Betroffener" zu sein, und dieser Feigheit ist es zu verdanken, dass in diesem Lande bis in die unmittelbare Vergangenheit grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mit Füßen getreten wurden. Ein schwuler Regierender Bürgermeister wäre, genau so wie eine Schwarze Ministerin in den USA, schon vor dreißig Jahren möglich gewesen, wenn die Menschen nicht so gnadenlos dumm und feige wären, wenn die Berechtigung von Konventionen an humanen Prinzipien gemessen und rational diskutiert werden könnten und würden. Es sind dieselbe Feigheit und Gedankenlosigkeit, die das Dritte Reich möglich machten und die Ursache dafür waren, dass das System in der ExDDR so lange überleben konnte. Diese gedankenlose Bereitschaft, sich brav an das zu halten, was halt "üblich" ist, war in der Geschichte der Menschheit schon immer eine wichtige Quelle für die Aufrechterhaltung von Barbarei.

Die eigentlich gefährlichen Leute sind oft die, die brav im Strom schwimmen. Ihre Ruhe ist ihnen heilig, egal, welche Barbarei sie dafür dulden müssen, solange es sie selbst nicht persönlich betrifft. Wenn man Schwule diskriminiert, dann diskriminieren diese Leute eben Schwule (oder Juden oder Schwarze). Wenn es sich dann nicht mehr gehört, dann lassen sie es, genau so brav, wie sie diese Menschen vorher diskriminiert haben. Ihr Rückgrat ist halt aus Pudding, ihre Meinung beziehen sie aus den Medien oder lauschen sie vorsichtig den Nachbarn ab. Das Dumme ist nur: Die sog. "Meinungsmacher", die Medienleute, sind ja ein Teil von ihnen, und die wollen eigentlich nichts anderes, als dass sie, diese rückgratlosen Angepassten, die "Entmündigten", kaufen, einschalten oder zustimmen. Auch diese "Meinungsmacher" haben meist nicht wirklich eine eigene Meinung, sondern sie ändern "den Ton der Berichterstattung" (z. B. über Schwule), sobald es zur "political correctness" gehört, sie nicht mehr zu diskriminieren. Als Wowereit den mittlerweile berühmten Satz in das Mikrofon sagte:, "Ich bin schwul, und das ist auch gut so!", da erntete er Applaus. Was sollten seine Parteifreunde auch tun? Er war schon zu weit oben. Das hätte er mal auf einer internen Sitzung sagen sollen, bevor er nominiert worden war! Schön an dieser Sache war: Die Rechnung von BILD, die sich wohl ausgerechnet hatten, ihm politisch durch die Veröffentlichung von Gerüchten zu seinen sexuellen Präferenzen zu schaden, ging nicht auf! Ein wichtiger Tag, denn von diesem Tag an müssen sich die Redakteure von BILD an die "neue Zeit" gewöhnen: Es ist ab sofort der Versuch nicht mehr tunlich, jemanden aufgrund seines Schwulseins zu diskriminieren.

Die Menschen haben, von ihrer genetischen Ausstattung, von ihrer Erziehung, halt von ihrem Wesen her sehr unterschiedliche Bedürfnisse. In einer multikulturellen freiheitlichen Demokratie steht es uns nicht an, die Bedürfnisse anderer zu bewerten. Manche erscheinen uns fremdartig, manche erscheinen uns weniger fremdartig. Das einzige, was wir uns zu fragen haben, ist, ob ein Bedürfnis mit den Wertvorstellungen in Einklang steht, die für unsere Gesellschaft als gültig angesehen werden. Also geht es eigentlich nur um die Frage: Ist die Erfüllung eines bestimmten Bedürfnisses in irgendeiner Weise eine Gefahr oder nicht? Ist es etwas, das wir zu unterbinden haben, zum Schutz bestimmter Menschen bzw. der Allgemeinheit vor Gefahr?

Also: Ist Exhibitionismus gefährlich?

Der Begriff Exhibitionismus ist auch im Gesetz ja nicht klar definiert. Ich will im Rahmen dieser Erörterungen darunter ungefähr folgendes verstehen: Sexuelle Handlungen, die eine erwachsene Person an sich selbst vornimmt, und dies so arrangiert, dass fremde und unbeteiligte Personen auf diese Handlungen aufmerksam werden müssen und ungewollt zum Zeuge werden.

Die einzige Frage, die wir eigentlich zu klären haben, ist die, ob von exhibitionistischen Handlungen irgendwelche Gefahren ausgehen könnten.

Machen wir uns nicht selbst der Heuchelei schuldig und machen wir um eine dumme Frage kein langes Federlesen: Ich habe einen zweiten Wohnsitz in einem kleinen Dorf in der Schweiz. In diesem Dorf werde ich, buchstäblich natürlicherweise, Zeuge von allerlei sexuellen Handlungen der Tiere. Es ist mir nicht bekannt, das Erwachsene, auch Frauen nicht, den Eindruck haben, durch den Anblick solcher "Paarungen", wie man den Sex unter Tieren nennt, geschädigt zu werden. Meine Frage: Welchen Schaden könnten sie also nehmen, wenn sie, statt der Sexualität unter Tieren, Sexualität eines Menschen wahrnehmen würden?

Auch die Kinder dieses Dorfes werden Zeuge solcher sexuellen Handlungen, selbstverständlich. Soweit ich weiß gibt es aber keine Bestimmung, derzufolge Kinder vor dem Anblick von tierischem Sex zu schützen wären. Offensichtlich ist bisher noch nie ein Erwachsener, nicht einmal ein Pfarrer, auf die Idee gekommen, dass Kinder durch den Anblick tierischer Sexualität seelisch irgendeinen Schaden erleiden könnten.

Meine Frage: Warum sollten sie dann durch den Anblick menschlicher Sexualität Schaden nehmen können?

Natürlich nehmen auch Kinder Sexualität unter Tieren und Sexualität von bzw. zwischen Menschen unterschiedlich wahr und natürlich sind auch unterschiedliche Emotionen damit verknüpft, Zeuge der Sexualität bei Tieren oder Zeuge der Sexualität bei Menschen zu werden. Das hat viele Gründe. Es sind ja auch für Kinder höchst unterschiedliche Emotionen damit verknüpft, Zeuge davon zu werden, wenn ein Mensch oder ein Tier "sein Häufchen macht" (wie die Kinder es dann bei ihren Hunden nennen). Die Frage ist nur, was die Quelle der Unterschiedlichkeit ihrer Emotionen ist.

Vor einigen Jahren habe ich eine Reise nach Indien gemacht und war eine Woche in Bombay. Ich habe mir dort die "offiziellen TouristenAttraktionen" angesehen, aber auch die Slums. In den Slums sah ich mehr als einmal Menschen, die ihre Notdurft, wie man es wohl im Deutschen sagt, wenn man vornehm und distanziert darüber reden will, einfach am Straßenrand erledigten. Wir befuhren z. B. mit unserem "Führer", einem Taxifahrer (der übrigens überhaupt nicht verstehen konnte, warum er uns die Slums zeigen sollte), eine breite vierspurige Straße, die mitten durch das größte und berüchtigste Slum von Bombay führte, und am Straßenrand sahen wir eine Frau mittleren Alters, völlig nackt. Sie saß in der Hocke und ein Mann neben ihr hatte einen Besen in der Hand und fegte damit ihre Fäkalien fortlaufend in den Gulli. Die vielen Kinder auf dieser Straße nahmen von dieser Szene keinerlei Notiz. Was wäre wohl in Deutschland passiert?

Vergessen wir nicht: In Deutschland waren solche Zustände vor einigen Hundert Jahren übrigens durchaus ebenso möglich und sogar üblich. Und was glauben Sie, verehrte Damen und Herren, wie gut denn in armen Familien die Sexualität der Eltern vor den Kindern geheim zu halten war, wenn es im Winter gerade mal einen einzigen warmen Raum in den Häusern bzw. Hütten gab. Zur Zeit Luthers, das ist überliefert, war es nicht ungewöhnlich, dass man auf seiner Schlafstatt in aller Offenheit onanierte. Und warum auch nicht? In südlichen Ländern gibt es auch heute noch öffentliche Toiletten ohne Trennwände oder gar Kabinen, wie wir es für selbstverständlich halten. – Nebenbei: In manchen deutschen Gefängnissen gibt es in den Zellen für Gefangene übrigens auch keine Trennwände, die die Toilette von dem Rest der Zelle trennen würden.

Wenn man ein wenig zurück schaut und wenn man in andere Länder schaut, dann wird schnell deutlich, dass der Umgang mit Nacktheit, mit Körperausscheidungen und mit Sexualität eine Sache ist, die primär etwas mit Gewohnheiten zu tun hat, mit Konventionen.

Selbstverständlich muss man derlei "Gewohnheiten", wie sie in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur bestehen, berücksichtigen, denn ob sich ein Mensch erschreckt oder nicht, wenn er Zeuge einer Handlung wird, hängt auch davon ab, wie "unvorbereitet" er auf das ist, was sich ihm darbietet. So kann ich mir auch durchaus vorstellen, dass ein Kind Schaden nehmen könnte, wenn es gezwungen würde, einem sexuellen Akt bei Tieren zusehen zu müssen (insbesondere bei einem Großstadtkind könnte ich mir das vorstellen), wenn es also nicht die Möglichkeit hätte, dieses Geschehen einfach zu ignorieren. Genau so wie ich mir vorstellen kann, dass ein Kind Schaden nehmen könnte, wenn es gezwungen würde, der Tötung eines Tieres zuzusehen. Aber bedenken Sie: Letzteres kommt durchaus vor auf Dörfern – selbstverständlich ohne dass dafür irgendwelche Sanktionen angedroht würden ...

Die angeführten Beispiele machen Ihnen sicherlich deutlich, dass es äußerst schwer zu begründen sein dürfte, dass der reine Anblick einer sexuellen Handlung für ein Kind oder gar für einen Erwachsenen objektiv eine Gefährdung darstellen könnte. In Zeiten, in denen hysterische Damen in Ohnmacht zu fallen pflegten, wenn ein unanständiger Witz erzählt wurde (weil das halt damals wohl als besonders "damenhaft" galt), mag es denkbar gewesen sein, dass es solche hysterischen Anfälle produzieren konnte, wenn eine "Dame" überraschend Zeuge einer sexuellen Handlung wurde, aber heute?

Es gibt keine rationale Begründung und es gibt auch keine Rechtfertigung dafür, Exhibitionismus in dem Sinne, wie ich ihn eingangs präzisiert habe, unter Strafe zu stellen, denn eine Gefährdung geht mit Sicherheit nicht davon aus, dass man Zeuge einer sexuellen Handlung wird, weder für einen Erwachsenen noch für ein Kind. Die Pönalisierung des Exhibitionismus ist Folge einer in Jahrhunderten gewachsenen Dämonisierung der Sexualität, deren besonders krasse Form wir in unserer Kultur dem Christentum verdanken.

Unter Strafrechtlern ist diese hier von mir vorgestellte Meinung durchaus nicht unbekannt. Der Umgang mit dieser Thematik hat große Ähnlichkeiten mit dem Umgang mit Drogendelikten: Obwohl beinahe alle relevanten Fachleute keine Legitimation sehen, den Genuss von Cannabis (Haschisch) zu kriminalisieren, weil die Harmlosigkeit dieses Genussmittels beinahe unstreitig ist, obwohl die Ungleichbehandlung des Genusses von Cannabis und des Genusses von Alkohol eine unglaubliche Willkür (und für die CannabisKonsumenten eine himmelschreiende Ungerechtigkeit) darstellt, ist in Deutschland, und erst Recht in den USA, auf diesem Gebiet mit Vernunft praktisch nichts auszurichten. Die letzte Bastion der "LawAndOrder"Fraktion, die den Menschen am liebsten noch vorschreiben würden, um wie viel Uhr sie ins Bett zu gehen haben, hängt an dem Begriff "Einstiegsdroge". Und beim Thema Exhibitionismus haben wir es, so scheint mir, mit ähnlichen Mechanismen zu tun. Es geht, grob gesagt, um ein: "Wehret den Anfängen!"

In der Zeitschrift "Kriminalistik", Ausgabe 2/01 erschien ein Artikel von einem PolizeihauptKommissar Rudolf Heimann mit dem Titel "Exhibitionismus". Im Untertitel fragt er: "Ist der ‚Exi’ wirklich harmlos?" Der Untertitel spielt darauf an, dass die überwiegende Zahl seiner aufgeklärten und denkfähigen Kollegen Exhibitionismus als harmlos einstufen. Dem setzt er als Fazit seiner Recherchen entgegen: "Jeder vierte tritt wegen schwererer Delikte sexualisierter Gewalt in Erscheinung." Diese Art Überlegung, ob Exhibitionisten anderweitig als Straftäter auffallen, ist schon im Ansatz idiotisch und für die strafrechtliche Bewertung des Exhibitionismus aufgrund rechtstaatlicher Prinzipien selbstverständlich völlig irrelevant! Wo kämen wir denn hin, wenn wir eine Tat nicht deshalb bestrafen, weil von dieser Tat eine Gefahr ausgeht, sondern deshalb, weil Menschen, die diese Tat begehen, zuweilen zu anderen Handlungen neigen, von denen dann eine Gefahr ausgeht. Übertragen wir doch diese hanebüchen dämliche Argumentationsfigur nur mal auf Steuersünder oder Autofahrer: Wir müssten das Trinken von Alkohol grundsätzlich unter Strafe stellen, weil ein Teil der Menschen, die Alkohol trinken, auch dadurch auffallen, dass sie in schwerer und andere Menschen extrem gefährdender Weise die Straßenverkehrsordnung verletzen.

Nebenei: Wenn es bis heute nicht schon Alkohol gäbe, dann hätte Alkoholkonsum bei der Art, wie hier argumentiert wird, nicht die geringste Chance auf Legalität.

Ich möchte nun noch ein Thema streifen, das im Zusammenhang mit öffentlicher Sexualität ebenfalls sehr schnell thematisiert wird: Ekel. Zweifellos gibt es Menschen, die sich vor dem Anblick sexueller Handlungen ekeln. Die Frage ist, ob es ein hohes Rechtsgut darstellt, Menschen vor potentiell ekelauslösenden Situationen zu schützen. Ich frage mich nämlich, wieso, wenn es ein hohes Rechtsgut darstellt, Menschen von ekelauslösenden Situationen zu schützen, dann Menschen, die sich so weit betrinken, dass sie erbrechen, nicht in gleicher Weise mit Strafe bedroht sind. Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, dass bei den Gesetzen mit zweierlei Maß gemessen wird: Sobald ein Handlung direkt oder indirekt etwas mit Sexualität zu tun hat, werden ganz andere Maßstäbe angelegt. Die offensichtlichen Ungeremintheiten inbezug auf die Diskussion von "tatsächlichem Gefährdungspotential" oder "Ekel" bei Handlungen mit und Handlungen ohne sexuellem Bezug machen deutlich, dass alle diese Gesetze aus einem Geist geboren wurden, der Sexualität vorab als problematisch oder gar gefährlich einstuft.

Viele Menschen spüren ganz richtig, dass wir gerade in einer offenen Gesellschaft ethischer Grundsätze bedürfen, die das Zusammenleben von Menschen mit höchst unterschiedlichen Idealen und weltanschaulichen Orientierungen überhaupt erst möglich machen. Sie bemerken aber nicht, dass das Festhalten an dem, was sie in der Kindheit als "Anstand" gelernt haben, sich in vielen Fällen als Grundlage für das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Idealen und weltanschaulichen Orientierungen in keinster Weise eignet. Wenn eine ganze Nation sich einig ist, dass die Bibel der Maßstab sein soll, dann mag es möglich sein (ich bezweifle sehr, dass die Bibel sich dafür eignet), das Zusammenleben der Menschen in diesem Lande auf diese Grundlage zu stellen. Wenn es eine solche Einheit und Einheitlichkeit der Überzeugungen aber nicht gibt, dann werden einige wenige Grundsätze ganz besonders wichtig, geradezu unverzichtbar. Zu diesen Grundsätzen zählt die Toleranz und es zählen die Bürgerrechte dazu, und darunter verstehe ich, dass jeder Mensch tun darf, was immer ihm beliebt, solange er damit niemandem schadet. Und da es eine höchst subjektive Angelegenheit sein kann, wann ein Mensch sich "geschädigt" fühlt, müssen allgemein akzeptierte Maßstäbe her, was man unter einem "Schaden" zu verstehen hat. Diese Maßstäbe müssen rational begründet sein, denn sonst besteht die Gefahr, dass ein Mensch den Lärm, den seine Kinder machen, nicht als "Schaden" deklariert, den Lärm, den nachbars Kinder machen, aber sehr wohl als Schaden deklariert.

Bei der Beurteilung rechtlicher Fragen reagieren die meisten Menschen nicht in dem Sinne, dass sie sich fragen, ob ein bestimmten Verhalten eigentlich verboten werden darf, sie sind nicht fähig zu einer solchen prinzipiellen Betrachtung sondern sie reagieren ganz persönlich: "Würde ICH wollen, dass man DAS darf." Sie fragen sich nicht, ob das überhaupt eine relevante Fragestellung ist, ob sie persönlich das wollen oder nicht. Sie gehen DAVON aus und das bestimmt auch ihr Urteil. Den Menschen ist es leider im allgemeinen gleichgültig, ob eine Rechtsordnung gerecht ist (anders kann man nicht erklären, dass Sklaverei sich so lange halten konnte), solange sie selbst von potentiellen Ungerechtigkeiten nicht persönlich betroffen sind. Erst wenn die Betroffenen (Schwarze oder Schwule oder Frauen oder Bauern oder Arbeiter etc. etc.) sich wehren und die Ungerechtigkeit "ins Bewusstsein zwingen", so dass man nicht mehr wegschauen kann, die Ungerechtigkeit eingestehen muss, DANN besteht eine Chance, etwas zu ändern, weil natürlich alle Menschen von sich selbst gern als "gerecht" denken ...

Wenn man dieselben Maßstäbe für Alkohol anlegen würde, die man bei Cannabis anlegt, dann müsste Alkoholkonsum unter Strafe gestellt werden. Wenn man behauptet, der Anblick sexueller Handlungen sei potentiell gefährlich, dann muss man Menschen auch vor dem Anblick tierischer sexueller Handlungen schützen. Wenn man Menschen vor "Ekelgefühlen" schützen will, dann dürfen Hunde in der Paarungszeit nicht mehr auf die Straße gelassen werden. Usw. usw. usw.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

*****************************************

Achim wird sicher einen Bericht aus der Perspektive des Teilnehmers hier liefern.

Herzliche Grüße

Peter

******************************************

Kontaktadresse für die Selbsthilfegruppe:

Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (K.I.S.S.)
Alfred Esser
Leuthardstraße 6
44135 Dortmund
Tel: 0231-529097
E-Mail: EsserAlfred@aol.com

Forum: http://f11.parsimony.net/forum17214/index.htm